Deine Fotografien spiegeln deine Seele wieder — wie ich es erkannt habe
“Das Wichtigste an der Fotografie ist, wer man selbst ist, und ich kann die Psychologie dieses Phänomens noch weiter vertiefen, aber es gibt keine Möglichkeit, ein Foto zu machen, ohne seinen eigenen Stempel darauf zu hinterlassen. Jedes Mal, wenn du auf den Auslöser drückst, basiert es darauf, wer du bist, das ist es, was dich von allen anderen unterscheidet. Mein Stil ist, dass ich aus dem Herzen heraus fotografiere, direkt ins Herz.” — Joe Buissink
Gleich vorweg: Dieser Blog-Beitrag wird der wohl persönlichste Beitrag bisher. Er beginnt mit einem Schicksalsschlag in unsrer noch jungen Familie wie ich immer dachte, sowas wird uns schon nicht treffen. Darüber, wie ich Trost in der Fotografie suchte und wie ich nach einigen Wochen der Selbstreflexion und beim betrachten meiner Fotos aus dieser schweren Zeit erkannt habe, dass unsere Fotografien unzweifelhaft das Spiegelbild unserer Seele wiedergeben.
Ausrüstung:
Sony a7III
Sony FE 4/24–105 mm G OSS
Sony FE 100–400 mm GM
Was ist passiert?
Alles begann Mitte Oktober. Unsere Tochter plagte immer häufiger Verstopfung und Bauchschmerzen. Etwas, was wir von ihr nie kannten. Auch von der Ernährungsseite hatten wir nichts geändert. Die Ärzte sahen keinen Grund zur näheren Untersuchung und beließen es bei einem Einlauf. Als sie Anfang November immer häufiger zu Gehen ablehnte, machten wir uns immer mehr Sorgen. Von den Ärzten hörten wir, dass kann auch mal eine Phase sein. Da die Verstopfungen allerdings in den nächsten Tagen immer mehr zu nahm und sie immer seltener Laufen wollte und große Teile ihres Tages nur noch in Schonhaltung auf dem Sofa verbrachte, gingen wir zum Kinderarzt und auch zur Notaufnahme der Kinderklinik. Überall der gleiche Tenor. Verstopfung. Einlauf. “Wenn man so richtig böse Verstopfung hat, dann will man auch mal nicht mehr Gehen”, und so weiter.
Überlastete Kinderärzte und Notaufnahmen — keine Hilfe in Sicht
Die Notaufnahmen und Kinderärzte in der Zeit waren überfüllt mit Kinder die das RS-Virus hatten. Überlastete Kinderärzte und wir nerven mit so etwas banalem wie Verstopfung und Bauchschmerzen. Aber es kann so nicht weiter gehen. Wir sahen, dass unsere Tochter zunehmend leidet. Also blieben wir dran. Wieder Kinderarzt. Wir bestanden auf Ultraschall oder Bluttest. Nach 3 Stunden im Wartezimmer mit einem jammernden und weinenden Kind, bekamen wir gesagt, heute wird keine Untersuchung in der Art durchgeführt. Sie bekommt nochmal einen Einlauf und wenn es nicht besser wird, sollen wir in die Notaufnahme der Kinderklinik. Wir sollen doch einmal mit ihre eine Runde laufen, sagt man mir. Ich fragte nur, ob sie mir überhaupt zugehört hatte, mein Kind läuft seit ein paar Tagen keinen Schritt mehr. Mehr als ein Schulterzucken löste diese Aussage nicht aus. Also ab in die Notaufnahme. Vielleicht nimmt sich da jemand Zeit für unsere Tochter.
Kein Kapazitäten. Einlauf. Wieder heimgeschickt. 2 Tage später. Die Einläufe sorgen immer für eine kurzzeitige Entlastung und wir dachten, das war’s jetzt vielleicht. Freitags ging unsere Tochter wieder keinen Schritt mehr. Abends wieder Notaufnahme. Schmerzmittel. Einlauf. Aber der erste Arzt, der sagte, wenn es nicht bis Montag gut ist, ab ins Krankenhaus und nicht mehr lockerlassen, es könnte durchaus was schlimmeres sein. Wie schlimm konnten wir uns noch gar nicht ausmalen.
Wir erahnen böses
Unsere Tochter lag die meiste Zeit des Tages nur noch auf dem Bett oder dem Sofa. Zum Beginn der nächsten Woche gingen wir erneut in die Kinderklinik. Uns ist zu unserem eigenen Erschrecken eine Auswölbung an dem unteren Teil der Wirbelsäule direkt oberhalb des Steißbeins aufgefallen. Sofort wurde unsere Tochter mit Ultraschall untersucht. Unbekannte Raumforderung, mehrere cm. Dann in den darauffolgenden Tagen MRT und Blutuntersuchung. Nach 3 Tagen in der Klinik dann die Diagnose. Keimzelltumor. Wahrscheinlich ein besonders bösartiger Dottersacktumor. Sie soll direkt nach dem MRT operiert werden.
Nach einem ersten Gespräch mit der behandelnden Ärztin, darüber was den die nächsten Schritte sein werden, wurden meine Frau und ich auf die Intensivstation der Kinderklinik gebeten. Es verging einige Zeit, in der wir vor der Tür warten mussten. Wir konnten unsere Tränen über die Diagnose und die innerliche Leere nur gegenseitig durch Umarmungen trösten. Es begangen die schwersten Stunden, Tage, Wochen, vielleicht auch Monate unseres Lebens. Nach gefühlten Stunden wurden wir hereingeholt.
Die Diagnose
Vor uns lag auf einem Untersuchungsbett aufgedeckt, Arme und Beine von sich gestreckt, unsere Tochter auf dem Rücken. Es wurde gerade ein Ultraschall ihrer Lunge aufgenommen. Wir konnten sie nur kurz sehen. Streiften ihr kurz durch ihr Haar. Berührten ihre Haut und flüsterten ihr zu, dass alles gut wird, obwohl wir daran im Moment selbst noch nicht glauben konnten. Wir wurden in ein Nebenzimmer gebracht, in dem uns einfühlsam versucht wurde beizubringen, wie schlimm es unserer Tochter tatsächlich geht. “Wir konnten den Tumor ihre Tochter nicht operieren”, sagte der anwesende Arzt. Zu sehr umwob das Drecksteil die Wirbelsäule. Man zeigte uns die Aufnahme. Vom Steiß hoch, umwickelte der Krebs die Wirbelsäule. Hatte sogar einen Wirbel gebrochen. Enddarm und Blasenausgang wurden von ihm abgedrückt, deshalb die Verstopfung. Insgesamt 13 cm lang und mehrere cm breit nach vorne in den Bauchraum und hinten am Rücken entlang. Ein ziemlich großer Tumor für so einen kleinen, nicht ganz zweijährigen Körper.
Komplikationen & Metastasen
“Es gab beim ersten Versuch ebenfalls Komplikationen beim Extubieren, wir werden es aber nachher noch einmal probieren.”, sagte der Arzt weiterhin nüchtern, “Sie hat nicht selbstständig wieder angefangen zu atmen”. Wir konnten es nicht fassen, brachen in Tränen aus. Unser Kind, seit Tag eins kerngesund. Nie mussten wir, außer zu den normalen Standard-Untersuchungen, zum Kinderarzt mit ihr und jetzt das. Die Reaktion meiner Frau war mehr als menschlich: “Oh Gott, was ist wenn sie nicht wieder selbständig zu atmen beginnt”. “Wir haben viele Sorgen”, antwortete der Arzt, “aber das gehört nicht dazu. Ihr Kreislauf wird das schon schaffen, da sind wir uns sicher”. Eine größere Sorge sind die Metastasen, die wir in der Lunge entdeckt haben. Recht große, teilweise welche, die die Gefahr bergen eine Lungenembolie auslösen zu können. “Wir scannen gerade noch Leber und Niere und andere Organe mit dem Ultraschall, um zu schauen, ob der Tumor noch weitere Metastasen gebildet hat”, sagte der Arzt. Ein Scan des Kopfes solle die Tage noch folgen.
Stunde Null
Aus einem Reflex heraus sagte ich: “Haben sie noch mehr schlechte Nachrichten oder war’s das?” Ein leichtes Schmunzeln des Arztes über meine Reaktion, gepaart mit leichtem Kopfschütteln. Nach jedem Diagnoseschritt wisse man mehr. Aktuell ist dass der Stand. Ausschließen kann er nicht, dass noch mehr solcher Nachrichten auf uns zu kommen. Im Moment gibt es allerdings nur zwei Optionen. Keine Chemo, was innerhalb der nächsten Tage zum Tod unseres Kindes führt. Oder Chemo, die Heilungschancen sehe er gut. Schnellwachsende, aggressive Tumore sprechen häufig ebenso stark auf Chemo an. “Wir würden heute Nacht bereits hier auf der Intensivstation mit der ersten Chemo beginnen”, sagte er. “Ja bitte, so schnell es geht”, entgegneten wir, “tun sie alles, was nötig ist, unserer Tochter zu helfen”. “Das tun wir”, sagte der Arzt.
Diese und alle andere Aufnahmen dieses Beitrags kannst du unter “Prints” als Kunstdruck für deine Wand zu Hause direkt bei mir anfragen.
Wie habe ich all diese Schreckensmeldungen verarbeitet?
Nur eine Stunde nach unserem Gespräch, war unsere Tochter erfolgreich extubiert und reagierte sogar auf unsere Anwesenheit. Die erste Erleichterung. Um 19 Uhr begann die erste Chemo. Ab diesem Zeitpunkt ging es stetig aufwärts. Immer wieder mit kleinen Rückschlägen, das ist klar. Beispielsweise hatte sie sich auch das RS-Virus beim Kinderarzt eingefangen. Und das in ihrem kritischen Zustand. Dies bescherte uns einige Wochen auf einem Isolationszimmer. Aber dennoch wurde ihr Zustand gefühlt von Tag zu Tag, von Woche zu Woche besser. Der Tumor verlor durch die Chemo sein Momentum und begann langsam zu schrumpfen.
Geteiltes Leid ist halbes Leid
Da es immer noch Corona-Auflagen in den Krankenhäusern gab, fuhr ich am ersten Abend wieder nach Hause. Unsere Katzen mussten versorgt werden. Die Nacht zu Hause war stiller als sonst, dunkler als gewohnt. Die allgegenwertige Leere erdrückte einen fast schon. Klare Gedanken zu fassen war nicht möglich. Ich bemerkte schnell, dass ich darüber reden musste. Also sprach ich mit Familie und Freunde über unser Schicksal. Wer fragte bekam Antworten. Es bringt nichts alles oder Teile zu verheimlichen und sich seinem Schicksal alleine zu ergeben. Das merkten meine Frau und ich schnell und diese Gesprächskanäle waren wirklich Gold wert. Wir bekamen Trost und Mut zugesprochen und wussten wir konnten uns auf so viele Personen verlassen, von denen wir viele gar nicht auf dem Schirm hatten. Die Unterstützung war wirklich unglaublich. Jedem mit ähnlichem Schicksal möchte ich den Mut zu sprechen, darüber zu reden. Mit der Familie, mit Freunden, mit Nachbarn, Vereinskollegen. Man kann nicht erahnen, aus welcher Richtung man Unterstützung bekommt, aber so etwas lässt kaum jemanden kalt und jedes Gespräch, jede Umarmung, jeder Zuspruch gibt Kraft.
Abstand gewinnen und Kraft tanken durch Fotografie
In den ersten Tagen funktionierte man irgendwie. Alles notwendige machte man, wie ferngesteuert. Aber die Gedanken im Kopf konnte man noch nicht sortieren. Was auf uns zukommt, erfuhren wir von anderen Eltern und Pflegekräfte, aber was das bedeute, und auch wie wir unsere Tochter und ihre Krankheit einzuschätzen hatten, all das war so schwierig im Kopf zusammenzubekommen. Nach einigen Tagen im Krankenhaus musste erst einmal Abstand gewinnen, dachte ich und nutzte einen nebligen Wintermorgen, um raus in den Wald zu gehen, zu einem nahegelegenen See. Fotografieren.
Dieser Morgen tat mir persönlich unglaublich gut. Für so ziemlich genau 2 Stunden waren alle Sorgen, ich würde nicht sagen verschwunden, aber zumindest weit weg. Während dem Fotografieren wurde ich zum Teil der Natur, konzentrierte mich auf sie und darauf Bilder aufzunehmen. Die Gedanken in meinem Kopf sortierten sich und mir ging es besser danach.
Familienleben auf der Krebsstation
In den kommenden Wochen in der unsere Tochter in der Klinik verbrachte, wechselten sich meine Frau und ich ab, um bei ihr zu sein. Unser Familienleben fand quasi in der Onkologie statt. Wir erzählten uns gegenseitig die Neuigkeiten aus unserem Umfeld, updateten uns über die Fortschritte unserer Tochter, übergaben uns Aufgaben die wir zu Hause nicht geschafft hatten, bevor am Abend gewechselt wurde. Die Nächte waren hart. Wenig, bzw. sehr schlechter Schlaf. Mit einem Ohr ständig in Alarmbereitschaft, um zu schauen was mit unserer Tochter ist. Umso erholsamer die Nächte zu Hause, als wir bemerkten, dass es langsam aufwärts ging und das Adrenalin der Erschöpfung wisch.
An einigen Morgen ging ich mit der Kamera raus in die Natur. Diese Stunden taten mir unglaublich gut. Die Zeit in der Natur tat mir gut. Ich tankte Kraft für die nächsten Nächte in der Klinik.
Was mir beim Betrachten meiner Bilder aufgefallen ist
Gerade in der dunklen, kargen Jahreszeit, in der ich sonst hauptsächlich bei Schnee für die Fotografie vor die Tür ging hatte ich Gefallen an tristen, teils sogar düsteren Aufnahmen gefunden. Ich hatte kein Problem damit, auch einmal die erdrückende Stimmung der Natur aufzunehmen und so zu bearbeiten, dass die Fotos eben auch diese von mir verspürte Leere, Stille aber auch die erdrückende Last wieder spiegelten. Alle Aufnahmen dieses Blog-Beitrags sind alle in der Zeit von Dezember ‘22 bis März ‘23 entstanden. In einer Zeit in der uns so viele Sorgen plagten und eine große Ungewissheit uns verfolgte. Und sie alle spiegeln in einem großen Ausmaß den Zustand meiner Seele wieder. So, wie ich es früher nicht für möglich gehalten hätte.
Alles erlebte beeinflusst den Mensch, der wir sind — und unsere Fotografie
In jedem Foto, dass ich aufgenommen habe, in jeder Entscheidung die ich bei der Auswahl und bei jedem Schritt der Bearbeitung am Computer getroffen habe, sind nicht nur rationale, technische Abwägungen hineingeflossen, sondern in ganz besonders hohem Maße auch emotionale Schlüsse. Und obwohl ich bei solch Fotografien früher bestimmt das ein oder andere mal gesagt hätte, gefällt mir nicht, da zu dunkel, zu düster, zu trist, muss ich heute sagen, halte ich diese Fotografien für wunderschön und besonders aussagekräftig. Sie sind eben nicht nur ein aufgenommener Moment in der Natur, sondern ein Ausdruck meines Innenlebens, meiner Gefühle.
Fotografien nimmt man nicht mit der Kamera auf, sondern mit Herz und Seele
Obwohl ich schon einige Jahre fotografiere und mir dessen immer Bewusst war, bzw. es mir immer eingeredet habe, dass es so sei, — “Der Fotograf macht das Foto, nicht die Kamera” — wurde es mir jetzt in dieser schweren Zeit erstmalig richtig klar. So befindet sich in jeder Fotografie ein Moment dieser Welt eingefroren in Raum und Zeit, aber immer auch ein großer Teil des eigenen Ichs des Fotografen.
Gerade in der Zeit, in der man im Internet viel über KI (Künstliche Intelligenz) und damit auch KI-generierten Bildern, auch Landschaften, die täuschend echt aussehen hört und ließt, ist diese Erkenntnis doppelt heilsam. Keine KI der Welt kann diesen Teil einer Fotografie erzeugen. Nur der Künstler selbst kann seine Seele und sein Herz einbringen.
Fazit
Fotografieren war für mich wie ein Ventil. Für dich kann dieses Ventil eine ganz andere Tätigkeit sein. Zum Beispiel Tagebuch schreiben, malen, tanzen, singen, musizieren oder etwas völlig anderes. Wichtig ist nur, dein Ventil zu finden, um Druck abzulassen und zu dir zu finden. Die Fotografie hat mir in dieser schweren Zeit und darüber hinaus viel geholfen. Sie half mir Abstand zu gewinnen, Kraft zu tanken, klarer zu blicken, Freude am Leben zurückzubekommen. So wie die Freude am Leben in unserer Tochter Stück für Stück wieder zurückkam.
Nach rasanten 4 Monaten hatten wir alle Chemos hinter uns gebracht. Unsere Tochter hatte ihre Lebensfreude zurück. Das Gehen bereitet ihr zwar heute noch Schwierigkeiten, da der Tumor auch Nerven des rechten Fußes abgedrückt hatte, aber das soll nur eine Frage der Zeit sein. Eine abschließende OP bei der Steißbein mit samt dem Tumor entfernt wurde, schloss dieses Kapitel letztlich. Auch die Pathologie gab das beruhigende Signal, dass unsere Tochter nun wieder Krebsfrei ist.
Ich denke in Zukunft feiern wir diesen Tag, den 11. April 2023 wie einen zweiten Geburtstag unserer Tochter. Der Tag an dem sie den Krebs besiegte. Wir sind unendlich dankbar über die großartige Unterstützung von allen Seiten und im ganz besonderen Maße auch über den heutigen Stand der Krebsforschung, der Pflegerinnen, Pfleger, Ärztinnen und Ärzte, die alles dafür getan haben, dass unsere Tochter wieder gesund wurde. Es gab nie einen Tag, an dem wir dank ihnen aufgehört hatten an die Heilung zu glauben oder den Mut verloren hätten. Danke euch von ganzem Herzen!